Die Dame meines Herzens kann vieles, aber vielleicht am besten kann sie Dinge im Voraus planen. Tage, Wochen, Monate, wenn nicht gar Jahre. Sie hat den ewigen Kalender im Kopf und alle wichtigen Termine im Blick. Es würde mich nicht wundern, wenn sie für den 16. Mai 2014 einen Ausflug geplant hätte, an einen Ort, von dem ich bisher noch nicht einmal weiß, dass es ihn gibt. Sie weiß es.
Sie denkt, das sei normal und ihr Verhalten mir gegenüber schwankt zwischen Unglaube und Mitleid, wenn ich wieder einmal keine Ahnung habe, auf welchen Wochentag ein bestimmtes Datum fällt oder wie viele Tage es noch sind, bis zur Einschulung ihres Neffen dritten Grades. Dabei kann auch ich äußerst penibel sein. Wenn zum Beispiel eine Schublade offen steht, werde ich unruhig und nervös. Ich kann nicht mehr klar denken, bis die Schublade geschlossen wurde und so die Ordnung der Dinge wieder hergestellt ist. Immerhin ist es mir egal, ob das an einem Dienstag oder Mittwoch geschieht. Hauptsache, die Schublade wird geschlossen. Und zwar sofort.
Inzwischen wurde bekannt, dass der französische Präsidentschaftskandidat François Hollande Türen von Zimmern und Schränken offen stehen lässt. In meinem ganz persönlichen Land wäre das ein Skandal, aber die Franzosen sind ja sowas von nonchalant. Sie sagen ohlala, comme çi, comme ça und schauen lediglich nach, wessen Unterwäsche im Schrank liegt und ob Minderjährige im Zimmer sind. Da könnten wir Deutschen uns eine Baguettescheibe von abschneiden, vorausgesetzt, das Baguette wurde aus Dinkelmehl gebacken oder sonstwie eingedeutscht und hat somit die Berechtigung zur doppelten Staatskörnerschaft erhalten.
Was dem Franzosen sein Baguette, ist dem Deutschen sein Terminkalender: Er trägt ihn stets bei sich. Die Dame meines Herzens ist eine Virtuosin des Terminkalenders. Ich glaube, sie nimmt an geheimen Wettbewerben teil, bei denen Menschen darum eifern, wessen Kalender mehr Einträge und kryptisches Gekritzel vorzuweisen hat. Ich hoffe, dass sie nicht plant, mich in diese Kreise einzuführen. Ich wüsste nicht, wann ich für so etwas Zeit hätte.
Dabei gibt es für alles eine Zeit und ein jegliches hat seine Zeit, wie es im Buche des Predigers Kohelet 3, 1-8 heißt. Das Raum-Zeit-Kontinuum hingegen besagt, dass, wer an der Zeit schraubt, auch den Raum verändert oder anders ausgedrückt: Die Dame meines Herzens und ich sind vielleicht in unterschiedlichen geistigen Räumen heimisch.
Der Schriftsteller João Ubaldo Ribeiro verließ 1990 den Raum seiner Heimat Brasilien, um für ein Jahr in Berlin zu leben. Vollkommen seltsam erschienen ihm die genauen Zeitvorstellungen der Deutschen, ihr fester Glauben, sich über die Zukunft Gewissheit verschaffen zu können, ihre Ernsthaftigkeit, mit der sie Termine vereinbaren. Ribeiro schrieb, dass ein Brasilianer die Frage, was er zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft machen werde, schlichtweg nicht begreifen könne. Die Brasilianer hätten, laut Ribeiro, meistens nicht die geringste Vorstellung davon, was sie in der nächsten halben Stunde oder gar am nächsten Tag tun werden und das deutsche Verständnis von Planbarkeit sei für einen Brasilianer absurd und sinnlos. Jetzt weiß ich: In mir lebt ein Brasilianer. Ein Brasilianer, der auf geschlossene Schubladen besteht. Ich muss das nur noch der deutschen Dame meines Herzens beibringen. Mal schauen, wann sie einen Termin für mich hat...
3 Kommentare:
schöner Blog, grade die erste Hälfte gefiel mir sehr gut (darf man das hier überhaupt, Wertungen abgeben?)
Hi Master Chief, merci erst mal - und natürlich darf man Wertungen abgeben, oder Anmerkungen, Kritik, Lob... Was immer Sie wollen :-)
Ich wollte auf keinen Fall rumstressen, wollte nur sagen, würde mich über einen neuen Blog freuen:)
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