Geschichten des täglichen Lebens
Quelle: zeno.orgIch sage es lieber frei heraus: Die Dame meines Herzens leidet unter einer Zähneputz-Aufräum-Manie. Eigentlich bin ich es, der darunter leidet. Sie selbst scheint in einem beseelten Zustand zu schweben, wenn es sie packt - und es packt sie jeden Abend.
Sie verschwindet im Badezimmer, verbringt dort einige Zeit, manchmal pfeift sie eine Melodie, manchmal höre ich nichts, dann geht die elektrische Zahnbürste an, die Tür geht auf und die Dame meines Herzens tritt hinaus. Die Haare hoch gesteckt, den rechten Ellbogen nach vorne gestreckt, die Hand zeigt zum Mund, im Mund die Zahnbürste. Während sie vor sich hinbrummt, beginnt sie, die Wohnung aufzuräumen. Trägt eine Zeitschrift von hier nach da, ein Glas in die Küche, putzt kurz die Fenster und bringt den Müll runter.
Ich sollte vielleicht froh sein, dass sie so ein fleißiges Bienchen ist, aber ihr Gesumme geht mir auf den Wecker. Kann sie nicht Brummen, wenn ich nicht zu Hause bin? Jetzt schwirrt sie wieder durch die Gegend. Ich höre sie durch die geschlossene Türe. Sie geht vom Badezimmer ins Wohnzimmer, durch den Gang in die Küche, kommt wieder zurück, ins Wohnzimmer, hält sich dort eine Zeit lang auf, dann nähert sich das Brummen wieder, die Tür geht auf und die Dame meines geschundenen Herzens tritt herein.
„Kannst du nicht deine Zähne im Bad putzen?“
Sie schaut durch mich hindurch, ihr Blick wie in Trance. Sie muss aufräumen, sie hat eine Mission – wenn ich sie so sehe, beginne ich an Dinge wie die Verkündigung Marias zu glauben, nur spricht zur Dame meines Herzens nicht der Erzengel Gabriel, sondern eine Zahnbürste der Marke Braun und sie empfängt nicht Gottes Sohn sondern die Sendung, Ordnung in der Bude zu schaffen.
Die dem profanen Weltgeschehen abgewandte, auf Höheres gerichtete Entschlossenheit in ihrem Blick jedoch erinnert an den Ausdruck in Marias Augen auf Jan van Eycks Gemälde „Maria Verkündigung“.
Ich habe die Dame meines Herzens einmal gefragt, warum sie beim Zähneputzen immer herum laufen muss.
„Nadine Angerer macht das auch“, hat sie geantwortet.
Nadine „Natze“ Angerer, ist Torhüterin und inzwischen auch Spielführerin der deutschen Damen-Fussball-Nationalmannschaft.
„Nadine Angerer hat das Tor gegen Japan reingelassen.“ Ich denke, das reicht als Argument, dass das Verhalten dieser Frau nicht als Ausrede oder gar Vorbild dienen sollte.
„Zähneputzen ist so langweilig“, sagt sie.
Für mich ist Zähneputzen Zen-Meditation. Ich blicke in den Spiegel, verfolge mit größter Aufmerksamkeit wie die Zahnbürste langsam kreist. Ich konzentriere mich auf die Muskeln meiner Finger, meines Armes, werde mir bewusst, welche Körperteile angespannt sind, entspanne meine Schultern, den Rücken, die nicht genutzten Muskel. Voller Achtsamkeit erspüre ich den Druck der Zahnbürste auf meinem Zahnfleisch und wenn ich genug meditiert habe, denke ich an die Fussballspiele der letzten Tage. Nach dem Zähneputzen bin ich reif fürs Bett.
Die Dame meines Herzens erwacht dabei. Manchmal kommt es vor, dass sie spät abends auf der Couch einschläft. So auch gestern. Ich beugte mich zu ihr hinab.
„Chérie, geh’ doch ins Bett.“
Sie gab einen unartikulierten Laut von sich, der ausgesprochen „Knoblauch und Zwiebeln“ bedeuten könnte. Ich fuhr zurück. Wein war auch dabei.
Auch wenn ich es nicht gerne sagte, auch wenn ich wusste, was passieren würde – es war das Beste – auch für sie.
„Chérie, du musst dir noch die Zähne putzen.“
Sie versuchte mich anzuschauen, bekam aber die Augen nicht auf. Sie war versunken in tiefster Nacht. Ich redete ihr nochmals zu. Sie kämpfte sich mit unerträglicher Langsamkeit hoch, plapperte ein bisschen und trottete mit gesenktem Kopf Richtung Badezimmer.
„Aber nicht auf der Toilette einschlafen“, rief ich ihr noch nach, dann war sie verschwunden.
Sekunden später hörte ich das altbekannte Brummen, die Türe ging auf und die Dame meines Herzens stürmte heraus, voller Tatendrang und munter wie eine Amsel am frühen Morgen.
3 Kommentare:
Ja, gewisse Verhaltensweisen vom manchen Menschen sind schon lustig. Zumindest für manche...
Hallo Mister Chief, das scheinen Sie auch zu kennen :-)
na ja, ich denkek mal, das kennt jeder
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